Der Eintritt ins Bildungs- und Anpassungssystem
Du sollst du selbst sein - aber bitte kompatibel

Schon im Referendariat lernt man, was zählt:
Nicht, was du denkst, sondern wie gut du dich anpasst.
Wie glatt du dich ins Kollegium schiebst.
Wie schnell du lernst, dass eigene Gedanken nur dann erwünscht sind, wenn sie kompatibel sind mit dem pädagogischen Mainstream.
Und wie gefährlich es wird, wenn du wirklich etwas verändern willst.
Und genau hier liegt der eigentliche Wahnsinn:
Denn dieser pädagogische Mainstream spricht unablässig von "Selbstentfaltung".
Von "Individualisierung".
Von der Begleitung junger Menschen zu "selbstverantwortlichen Persönlichkeiten".
Diese Phrasen werden auf Fortbildungen rezitiert wie Glaubenssätze -
du sollst sie nicht nur wiederholen, du sollst sie spüren. Fühlen. Verinnerlichen.
Aber wehe, du nimmst sie ernst.
Wehe, du lebst sie.
Wehe, du versuchst, diesen Gedanken konsequent zu Ende zu denken - für deine Schüler, aber auch für dich selbst.
Dann wird klar:
Was als Offenheit verkauft wird, hat oft enge Grenzen.
Unter dem pädagogischen Lack liegt nicht selten stiller Anpassungsdruck.
Es gibt Ausnahmen. Natürlich. Aber dieser Text handelt nicht von Ausnahmen.
Er handelt vom Normalfall - und davon, wie gefährlich Normalität werden kann, wenn sie sich als Fortschritt tarnt.
Es darf sich entfaltet werden - aber bitte innerhalb der Linie.
Du darfst begleiten - solange du nicht störst.
Und Persönlichkeit? Ja, gerne. Aber nicht zu laut. Nicht zu kantig. Nicht zu echt.
Und während du noch damit beschäftigt bist, deine Haltung mit deinen Idealen abzugleichen, lädt das Kollegium zum Sommerfest.
Ich? Ich gehe natürlich nicht hin. Also meistens. Außer, ich denke, ich müsste. Oder ich will sehen, ob es diesmal anders ist. Ist es nie.
Grillwürstchen, Salate, Maskerade.
Das jährliche Lehrergrillen - ein sozialer Pflichttermin mit Bio-Würstchen und Smalltalkvermeidungstaktik.
Unterschwellig spürst du: Wer da nicht erscheint, stört den Betriebsfrieden.
Denn Teamgeist wird hier nicht durch echtes Miteinander gemessen, sondern durch Anwesenheit am Getränkestand.
Die Vorgesetzte formuliert es freundlich:
„Es ist wichtig, mal die Kollegen privat kennenzulernen und nicht nur im Berufsalltag zwischen Tür und Angel mit ihnen zu sprechen - das fördert die kollegiale Gesamtstimmung.“
Klingt nett. Aber die Realität sieht oft anders aus.
Denn genau da liegt das Problem - es ist seltsam:
Im Beruf bewundere ich manche Kollegen für ihre Klarheit. Privat sehe ich dann oft nur den Versuch, irgendwie dazuzugehören. Und plötzlich fehlt mir der Respekt - nicht für sie, sondern für das Spiel.
Smalltalk statt Substanz. Konformität statt Haltung.
Was da angeblich die „Stimmung fördert“, kann im Gegenteil tiefe Risse erzeugen - zumindest bei denen, die nach Echtheit suchen.
Maskenpflicht am Grill. Nicht wegen Corona - sondern wegen der Rollen.
Lächeln, nicken, dazugehören.
Und wehe, du sagst offen, dass du das alles für eine Farce hältst.
Dann giltst du schnell als schwierig - und passt nicht mehr ins Bild.
Du denkst, das klingt übertrieben?
Mag sein. Vielleicht hast du gelernt, wann es besser ist, nichts zu sagen.
Manchmal beneide ich dich darum.
Ich schaffe das oft nicht - Schweigen fühlt sich für mich schlimmer an als der Konflikt.
(Es geht nicht ums Rechthaben. Es ist eine Innenansicht. Es geht darum, dass ich mit ADHS oft merke, wie falsch es sich für mich anfühlt, still zu bleiben - und wie teuer das Sprechen manchmal ist.)