Drei Mäuse. Kein Plan. Viel Nähe.
Eine wahre Geschichte über Hyperfokus, Tierliebe und freundliches Chaos

Eines Nachts stand plötzlich ein stinkender Käfig mit zwei übergewichtigen Wüstenspringmäusen in unserer studentischen WG-Küche. Nicht heimlich, aber auch nicht wirklich mit Plan. Mein bester Freund und Mitbewohner - frisch getrennt - hatte das Tierdrama seiner Ex irgendwie gleich mitentsorgt. Die Mäuse taten ihm leid, klar. Aber nicht genug, um mehr als diese zwei Sätze zu verlieren:
„Die wollte sie nicht mehr. Die waren ihr zu laut."
Und da standen sie nun. Auf dem Tisch. Im Gestank. Im Leben. Und obwohl offiziell niemand gesagt hatte „Kümmer dich“, war klar: Diese beiden stinken jetzt zu mir. Vielleicht hatte mein Mitbewohner genau das gehofft - still, kalkuliert, liebevoll übergriffig. Vielleicht wusste er: Ich bin der Typ, der nachts Tunnel für Mäuse baut, wenn alle anderen schlafen. Hat er nie gesagt. Musste er auch nicht. Das war sein Plan. Und, zugegeben: Ich bin voll drauf reingefallen.
Was dann kam, war ein Mix aus schlechtem Gewissen (wegen einer Ratte namens Luke in meiner Teeniezeit, die ich leider oft wegen vieler Ablenkungen manchmal vernachlässigt hatte), Mitgefühl und dem klassischen ADHS-Modus: Hyperfokus plus Bastelwut. Innerhalb weniger Wochen verwandelte ich einen neuen und größeren Drahtknast in eine Festung. Zwei getrennte Etagen. Tunnel. Rutschen. Labyrinthe. Die Mäuse hingen sich regelrecht ab - getrennt, denn ich war offenbar der Erste, der bemerkte, dass die beiden Weibchen sich entweder ignorierten oder prügelten. Sozialverhalten auf engem Raum? Schwierig. Kannte ich irgendwoher.
Sie bekamen Auslauf. Einzelbetreuung. Frischkost. Und ja, eine brach sich sogar die Schneidezähne beim Klettern und wurde wochenlang mit Brei gefüttert. Ich saß beim Tierarzt, googelte Mäusenahrung, mixte Menüs, bastelte weiter. Mein Mitbewohner kommentierte das alles mit einem leicht irritierten Dauerlächeln. Ich glaube, auch er hatte nicht mit so viel Engagement gerechnet. Ich selbst übrigens auch nicht. Aber: Ich höre nicht auf, wenn mich jemand braucht. Und genau das triggert mein System. Pflicht plus Emotionalität gleich Tunnelblick deluxe. Und so lebten wir zu dritt in meinem WG-Zimmer. Nicht ganz freiwillig, aber mit Stil - auch wenn ich fortan mit Ohrstöpseln schlafen musste, weil sie nachts aktiv waren. Vielleicht hätten sie auch ohne mich irgendwie überlebt - aber nicht mit solchen Bauwerken!

Viele Jahre später, ich wohnte inzwischen allein in einem kleinen Haus, tauchte die nächste Maus auf.
Diesmal war sie nicht geliefert, sondern einfach da. Ich sah sie anfangs nur als Schatten. Immer am Fußende des Schreibtisches. Irgendwas huschte, aber ich war mir nicht sicher, ob ich Halluzinationen hatte oder einfach zu wenig geschlafen.
Irgendwann sah ich sie richtig: Große schwarze Augen, gespannte Ruhe, „Mus musculus“ (die „Hausmaus“) in Vollpräsenz.
Keine Panik, kein Fluchtreflex. Nur ein langes, wortloses Anstarren zwischen Mann und Maus. Sie war nicht eingeschüchtert - nur wachsam. Und sie blieb. Leider. Denn während ich sie bewunderte, verwandelte sie meine Vorratskammer in ein postapokalyptisches Keks-Bunkerlabyrinth. Konserven angeknabbert. Keksverstecke hinterm Sofa. Krümelkolonnen unter dem Schreibtisch. Ich begann zu verstehen, wie klug sie war - und wie hartnäckig.
Kammerjäger? Undenkbar. Stattdessen: Baumarktbesuche. Fallenrecherche. Essenspläne. Ich briet Speck, kochte Nudeln, baute Lebendfallen mit Fünf-Gang-Menü. Sie lachte mich aus. Also, innerlich. Ich sah es in ihren Augen. Sie klaute den Käse, ohne die Falle auszulösen. Ich legte doppelte Barrieren an, schloss ein Loch mit Stahlwolle, fand neue Laufwege. ADHS-Hyperfokus 2.0.
Kurz vor meiner Motorradreise musste ich irgendwas erreichen. Ich wollte sie nicht im Haus lassen. Ich wollte sie aber auch nicht töten. Wir waren zu weit gekommen. Am Ende schloss ich ein zweites Eingangsloch, verstaute alle Lebensmittel in Boxen und fuhr los. Drei Wochen später kam ich zurück.
Was ich sah, war eine Maus im Ausnahmezustand. Alle Holzdielenrillen ausgekratzt. Überall Staublinien und Krümelstapel. Ich hörte sie unter dem Boden, wie ein Phantom. Aber sie war da. Immer noch. Und sie hatte gearbeitet. Viel.
Die nächsten Tage bestanden wieder aus Fallenbau, Saubermachen, Laufwegverfolgung, Internetrecherche und Respekt. Ich war ein wenig stolz auf sie. Und ich war wieder mittendrin. Am Ende fand ich das dritte, neue Loch. Verschloss es. Und sie war weg. Endlich. Leider.
Heute denke ich manchmal noch an sie. Und an die beiden anderen.
(ADHS heißt bei mir: Nicht locker lassen, wenn jemand auf mich angewiesen ist. Nicht aus Prinzip. Sondern weil mein System dann anspringt - und nicht mehr aufhört. Hinzu kommt oft ein gewisses Maß an Kreativität. In diesen Fällen: Festung bauen und respektvoller Lebend-Mausausschluss.)
